Zwei Männer Ende fünfzig. Ein Wiedersehen nach langer Zeit. Umgeben von Erinnerungen sprechen und schweigen Patrick und Malte über die Vergangenheit. Und über das Gefühl, das sich einstellt, wenn im Leben mehr wegbricht als neu hinzukommt. „Freunde“ (Hessischer Rundfunk) erzählt das anders als viele Filme über Klassentreffen, Beerdigungen und Revoluzzer-Revivals. Das Kammerspiel verzichtet auf Frauen, auf Rückblenden oder die alkoholgeschwängerte Aufarbeitung von Altlasten aus der Abiturzeit. Die Suche nach dem, was war und ist (Drehbuch: David Ungureit) konzentriert sich vor allem auf einen Dialog, der ins Stocken geraten ist. So wie das Leben von Patrick nach dem Tod seiner Frau Anja. Regisseur Rick Ostermann inszeniert diesen Dialog in einer stillstehenden Welt. Das im Dornröschenschlaf liegende Elternhaus des Witwers ist weit mehr als Kulisse. Vergiftete Äpfel liegen zuhauf herum. Das Haus erzählt, wo die Protagonisten schweigen. Dieser Fernsehfilm am Mittwoch wird dadurch zu einem Fest für Zuhörer und aufmerksame Betrachter gleichermaßen. Er balanciert nah am Abgrund, zieht uns aber nie bleischwer hinab. Dafür saßen diese Freunde früher zu gern gemeinsam am Rand und ließen die Beine baumeln.
Foto: HRMännerfreundschaft ohne Kitsch und Klischee. Ulrich Matthes, Justus von Dohnányi
Im Garten eine verlassene Hollywood-Schaukel. Drinnen ausgeräumtes Geschirr, und die verschlissene Armlehne eines Cord-Sessels. Drinnen Juke-Box und Kicker, draußen eine stillstehende Kinderschaukel am Baum. Zu sanften Jazzpiano-Klängen streift die Kamera (Leah Striker) ein erstes Mal langsam über das Terrain. Im Haus greift Patrick (Justus von Dohnányi) zum letzten Schluck Whisky. In ihm will er die tödlichen Tabletten auflösen. Sein Bart ist etwas zu ungepflegt für einen, der heute seine Frau beerdigt hat und nun einfach weitermachen wird. Schnitt. Draußen am Tor steht einer. Er weiß, wie sich das Tor durch leichtes Anheben öffnen lässt. Er weiß auch, wo im Garten der Ersatzschlüssel hängt. Und als Patrick nochmal vom Schlafzimmer im ersten Stock hinuntergeht, um einen Löffel zu holen (den er doch eigentlich abgeben will) sitzt der andere drin – im ausgepumpten Becken des Schwimmbads. „Malte?“ fragt Patrick ungläubig. Die Frage hallt im Raum. Der alte Freund ist zurückgekehrt, aber er ist auch ungefragt eingedrungen in eine eigentlich abgeschlossene Welt.
Die Glasscheiben im Schwimmbad-Raum sind längst blind. So abgenutzt wie die Vogelschablone und die Hängelampe aus Muschelplättchen neben der Patrick jetzt steht und diesen Freund da unten im Becken skeptisch beäugt. Malte (Ulrich Mattes) müht sich. Er geht auf Patrick zu, spricht sein Beileid aus und buhlt um das erste Kickerspiel seit 30 Jahren. Als ob das so einfach wäre. Es geht genauso wenig, wie sich jetzt in den Arm zu nehmen. Immerhin schaffen es die beiden nach nebenan ins Helle. Vor den Fenstern wird der Garten sichtbar, vor alten Tapeten steht ein neuer Kühlschrank und ein moderner Küchenblock. Patrick macht Kaffee. Der Zuschauer ahnt: Das wird eine lange Nacht der kleinen Schritte.
Foto: HRNur wenig eingeübte Gesten. Das Haus als Spielplatz. Ulrich Matthes, von Dohnányi
Dank Ulrich Matthes und Justus von Dohnányi lässt man sich gern darauf ein. Der Mann mit den blitzenden Augen vereint unbeholfene Gesten und lässige Sturheit. Eine interessante Mischung, bei der unklar bleibt, welche Reaktionen sie beim Gegenüber auslösen kann. Zwar ist Patrick der Trauernde, in der aktuellen Situation aber übernimmt Malte den schwierigeren Part. Anders als in einer früheren Zusammenarbeit mit Regisseur Rick Ostermann („Fremder Feind“, 2018) spielt Ulrich Matthes keinen Einzelgänger, sondern einen Mann, der seinen Freund zurückgewinnen will. Und der im Verlauf dieser Begegnung zwei gewaltige Überraschungen zu verdauen hat. Ihm gegenüber agiert von Dohnányi mit großer Ruhe und Souveränität. Eine beeindruckende Vorstellung, weit weg von seinen Rollen als Schlagerstar Bruce Berger in Simon Verhoevens Komödien-Doppel „Männerherzen“ (2009, 2011). Hier verkörpert er eine verletzte Männerseele, einen erfolglosen Fabrikantensohn, dessen letzte Stütze weggebrochen ist. In „Freunde“ begegnen sich also zwei erwachsene Männer, die gelernt haben mit Verlust und Kompromiss zu leben. Der frühere Weltenbummler Malte ist jetzt Buchhändler für Landkarten in Stuttgart. Sie begegnen einander vor einer Kamera, die 45 Minuten lang höchstens in halbnahen Einstellungen herangeht und sich keine sentimentalen Details erlaubt. Nach der schwierigen Annäherung fängt sie später auch Vertrautes und stilles Vergnügen ein. Wie das Essen im Garten, bei dem die beiden alte Spaghetti mit einer längst abgelaufenen Gewürzmischung genießen, deren Geschmack jedes Kind der Siebziger kennt.
Foto: HRStets für eine Überraschung gut: Ulrich Matthes, der Mann mit den blitzenden Augen
In der zweiten Filmhälfte wagt sich die Kamera näher heran. Statt Spaghetti kommen ein paar schwer verdauliche Wahrheiten auf den Tisch. Jeder der beiden muss jetzt ein Stück weiter aus dem Haus fliehen, um den anderen danach wieder zu ertragen. Die Kamera folgt ihren Alleingängen durch das idyllische Draußen oder beobachtet von drinnen heraus das Wieder-zueinander-finden vor dem Haus. Szenenbild (Anette Reuther) und Requisite (Christoper Dey, Richard Wengerter, Benjamin Boyle) nutzen dabei die Möglichkeiten eines Ortes, in dem sich Vergangenheit und Gegenwart mischen. Im Haus verstauben die Erinnerungen, auf dem Tisch stapeln sich diese verdammten Kondolenzbriefe, die daneben einfach abgelegten Blumen welken schon. Vom Vorspann an ist das Haus der dritte Hauptdarsteller von „Freunde“. Während Patrick und Malte das weitläufige Erdgeschoss, Garten und parkähnliche Außenanlage immer selbstverständlicher in Beschlag nehmen, führt die Freitreppe nach oben in Räume, die verborgen bleiben. Oben lauert immer noch die Möglichkeit, dass Patrick diese Welt verlassen könnte. Unten stehen Kicker und Jukebox. Wenn Malte die Kombination für „The Tide is High“ oder „She´s gone“ von Hall & Oates drückt, lockt er seinen Freund unwissentlich wieder nach unten ins Leben zurück. Ist „Freunde“ damit die Geschichte einer Rettung? Wohl eher die Momentaufnahme eines schwierigen Moments. Die Stimmung kippt immer wieder. Gewissheiten werden ausgesprochen, der Ausgang aber bleibt ungewiss. Dass die Freunde getan haben, was sie konnten, malt beiden am Ende ein Lächeln aufs Gesicht.
Foto: HRMit dem Ewige-Jungs-Dasein hat es irgendwann mal ein Ende... Justus von Dohnýnyi
Autor David Ungureit bewies zuletzt mit „Bist du glücklich?“ (2018, mit Ronald Zehrfeld und Laura Tonke) sein Händchen für wahrhafte Dialoge und knappe Sätze, die die Verschiebungen in einer Beziehung andeuten. Es muss also kein Ex-Liebespaar sein. Auch „Freunde“ zeigt, was es macht, wenn man bereit ist, den anderen zu verstehen. Da sprudeln keine Sätze, da wirkt manches linkisch, unbeholfen, störrisch. Und doch kommt es nach einer fein austarierten Dramaturgie in Gang. Alles besser als überlebte Muskelspiele oder die Deppenhaftigkeit vieler Männerfiguren, die in aktuellen TV-Produktionen die Überlegenheit von Frauen unterstreichen sollen und dabei nicht viel mehr als Staffage sind. Unter der Regie von Rick Ostermann ist der eine Freund so zerknittert wie sein Leinensakko, der andere so weich und schwer, wie ihn die Jahre gemacht haben. Wem das am Ende zu nah am Leben ist: Fürs Kino hat Ostermann im Anschluss an „Freunde“ schwer runtergekühlt und einen ganz anderen Typ Mann imaginiert. In seiner seit 7.10.2021 laufenden Romanadaption nach Dirk Kurbjuweit spielt Tobias Moretti die Hauptrolle als „Idealverkörperung der Verletzlichkeit des Alphamanns“ (epd film). Titel des in naher Zukunft spielenden Home-Invasion-Thrillers: „Das Haus“.
Foto: HRBeine baumeln lassen. Komm gieß mein Glas noch einmal ein. Matthes, v. Dohnányi
Martina Kalweit, freiberufliche Journalistin aus Hamburg, war 20 Jahre Film-Redakteurin bei „TV Spielfilm“. In dieser Zeit auch Autorin des Serienmagazins, der TV-Beilage „Stern TV“ und der Filmzeitschrift „Cinema“. Seit 2003 Jury-Mitglied beim Roland-Krimipreis im Rahmen des Festivals „Tatort Eifel“.